Manager-Krankheit, Medien-Hype oder Lifestyle-Phänomen?

Das Burnout-Syndrom erfasst alle sozialen Schichten

Von Ansgar Lange +++ Sindelfingen, 15.02.2013. Stress-Folgeerkrankungen nehmen stetig zu. Rund ein Drittel der Erwerbstätigen in der Schweiz fühlt sich häufig oder sehr häufig gestresst. Nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) http://www.nzz.ch ist der Anteil der Betroffenen innerhalb von zehn Jahren von 26,6 auf 34,4 Prozent gestiegen. „Wenn das innere Feuer erloschen ist“: Mit diesen Worten beschreibt die NZZ plastisch den „Zustand der emotionalen und mentalen Erschöpfung, der körperlichen Ermüdung und der gefühlsmäßigen Distanzierung von der eigenen Arbeit“.

Der Bestsellerautor und Psychiater Manfred Lütz („Irre! Wir behandeln die Falschen – unser Problem sind die Normalen: eine heitere Seelenkunde“) hält die mediale Aufmerksamkeit für das Burnout-Syndrom für einen reinen Hype. „Burnout gibt es als Krankheit gar nicht“, sagte Lütz der Nachrichtenagentur dpa. „Irgendwann ging mal durch die Presse „Neun Millionen Burnout-Kranke in Deutschland“. In Wirklichkeit haben wir keinen einzigen Burnout-Kranken, denn Burnout ist keine Krankheit.“

Burnout sei ein Mischmasch an Beeinträchtigungen, die jeder mal habe, zum Beispiel Schlaflosigkeit oder Konzentrationsstörungen, so die Rheinische Post (RP) über Lütz. „Das Schlimmste sind die selbsternannten Burnout-Experten“, so Lütz. Deren Ratschläge seien meist von erstaunlicher Banalität. „Wenn jemand 16 Stunden am Tag schuftet und sich dabei nicht wohl fühlt, dann haben diese Experten den Rat, dass der mal kürzer treten solle.“ Der Einsatz von Psychotherapeuten werde ebenfalls überschätzt. Sie seien keine „Experten für Lebensglück“ und beispielsweise auch keine Hilfe gegen tyrannische Chefs.

Ratschläge von erstaunlicher Banalität

In seinem neuen Buch „Bluff!“ vertritt Lütz laut RP die These, dass wir alle heute in künstlichen Welten leben und dabei Gefahr laufen, das eigentliche Leben zu verpassen. „Ich versuche da zum Beispiel, dem irrationalen Psychoboom entgegenzuwirken. Stattdessen will ich die Leute ermutigen, sich selbst etwas zuzutrauen und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.“

„Misst man Lütz an seinen eigenen Worten, so ist sein Ratschlag, sich mehr zuzutrauen und das Leben selbst in die Hand zu nehmen, auch von erstaunlicher Banalität“, sagt der Personalexperte Michael Zondler, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens centomo http://www.centomo.de. „Nicht jeder, der sich hin und wieder schlapp oder antriebslos fühlt, leidet an Burnout. Doch ist diese Stress-Folgeerkrankung mehr als ein Lifestyle-Phänomen. Die Krankheit tritt quer durch alle sozialen Schichten auf und verursacht überdies einen großen volkswirtschaftlichen Schaden – vom Schaden für die Seele der Betroffenen einmal ganz abgesehen.“ Die Krankheit zeige vielfältige Symptome und sei nicht zu unterschätzen. „Im Internet gibt es beispielsweise Checklisten, in denen konkret abgefragt wird, unter welchen Symptomen der Einzelne leidet. Hier kann die oder der Betroffene zunächst einen Selbsttest machen. Wichtig ist das Eingeständnis des Einzelnen, dass er ein Problem hat bzw. an einer Krankheit leidet. Dies sollte einem Arzt gegenüber offen angesprochen werden. Seelisches Leiden verlangt nach totaler Offenheit zunächst gegenüber sich selbst, gegenüber dem eigenen sozialen Umfeld, vor allem gegenüber dem behandelnden Mediziner und gegebenenfalls auch gegenüber dem Arbeitgeber, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Eine gesellschaftliche Bagatellisierung des Burnout oder der Versuch, ein Mäntelchen über das eigene Leiden zu legen und die „Zähne zusammenzubeißen“, halte ich für sehr bedenklich. Für die Betroffenen verschlimmert sich dadurch die ohnehin schon kritische Lage“, betont der Personalexperte.

Personalabteilungen und Führungskräfte müssten sich stärker als bisher mit der Thematik befassen. Ein kluges Management helfe, Burnout zu vermeiden, wenn Arbeitgeber und Führungskräfte klar formulieren, was sie von ihren Mitarbeitern erwarten und was nicht, so Zondler. Jemanden im Ungewissen zu lassen schüre nur Unzufriedenheit und Unruhe. Aber auch die Mitarbeiter seien in der Pflicht und hätten eine Bringschuld. Wer selbst erste Anzeichen eines Burnout an sich bemerke, solle dies mit seinen Vorgesetzten ansprechen und gemeinsam nach einer Lösung suchen, bevor es für beide Seiten zu spät ist und nur noch ein Psychologe und medizinische Betreuung helfen kann, meint der centomo-Geschäftsführer.

Weder Krampfer noch Versager

In der Clinica Holistica http://www.clinica-holistica.com im Engadiner Dorf Susch werden beispielsweise Patienten aus der gesamten Schweiz und aus allen sozialen Schichten behandelt. Zurzeit bietet die Klinik rund 40 Betten für Burnout-Patienten an, die praktisch alle belegt sind. Laut NZZ will man dort dem Problem mit psychotherapeutischen Gesprächen, Atem- und Bewegungsübungen etc. zu Leibe rücken. Der Schlüssel zu einer Veränderung liegt aber auch in der Persönlichkeit des Einzelnen und im Verständnis der eigenen Rolle. Ein ganzheitlicher Ansatz mit der interdisziplinären Vernetzung der Therapeuten und der ambulanten Nachbetreuung soll Burnout-Patienten helfen, nach einer Auszeit wieder ihre Rolle im Privat- und Berufsleben einnehmen zu können. Ähnlich wie Zondler sieht die Chefärztin der Schweizer Klinik die „Banalisierung des Leidens“ und die Polarisierung in der öffentlichen Debatte sehr kritisch: „Burnout-Patienten werden entweder als Krampfer oder als Versager dargestellt. Das wird der Krankheit – die oft auch das soziale Leben stark beeinträchtigt – nicht gerecht.“

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